Romanfiguren – Guck mal, wer da spricht

Romanfiguren – Guck mal, wer da spricht

Ohne Figuren gibt es keine Geschichte. Mit wem sollen wir sonst mitfiebern, mitzittern, mitweinen? Damit ich eine Geschichte glaubhaft erzählen kann, muss ich zuerst die Figuren in- und auswendig kennen.

Know your darlings

Wenn ich von Hauptfiguren spreche, meine ich klassischerweise Protagonisten und Antagonisten. Der Protagonist verfolgt ein Ziel, der Antagonist stellt ihm ein Bein. Das ist die bloße Theorie. In Echt ist es natürlich viel komplexer. Der Protagonist sollte nicht nur positive Eigenschaften haben, sonst wirkt er nicht realistisch. Der Antagonist hat auch gute Seiten, seine Spielchen müssen irgendwie nachvollziehbar sein. Aber das Allerwichtigste: Der Leser soll sich identifizieren können. Und dafür müssen die Figuren glaubwürdig sein.

Wie wird eine Figur glaubwürdig?

Stell dir einmal vor, du stehst in einer Galerie mit lauter bildschönen Gemälden. Wann sagst du: „Boah, das Bild sieht aus wie abfotografiert“? Wenn jedes Detail stimmt. Je detailgetreuer, desto realistischer. Dasselbe gilt für die Figuren: Je mehr Detailtiefe eine Figur hat, desto glaubwürdiger ist sie. Nun muss ich als Autor diese Details erst einmal kennen(lernen). Und eins sage ich vorab: Du wirst am Ende sehr viel mehr über deine Figur wissen, als die Leser. Und das ist auch gut und wichtig! Denn die Leser spüren sofort, wenn eine Geschichte nicht glaubhaft ist.

Wie gebe ich einer Figur Detailtiefe?

Es gibt verschiedene Wege, deine Figur ganz genau kennenzulernen. Ich stelle hier exemplarisch die Methoden vor, die für mich gut funktionieren, aber jeder Autor hat da andere Präferenzen.

Beim Plotten

Der Plot ist das Gerüst deiner Geschichte. Darin bestimmst du, was eigentlich genau passieren soll in deinem Buch. Im nächsten Blog-Artikel erkläre ich das noch etwas genauer. Es gibt plot driven Handlungen, hier geht’s ab, zack, bum, bäng. Figuren sind zwar wichtig, aber nicht treibend. Und es gibt character driven Handlungen, da lebt die Geschichte von den Figuren. Die sind ziemlich beliebt, weil die Leser in die Figuren und ihre Welt eintauchen, als wäre sie selbst dabei. Aber das klappt nur, wenn die Figuren sehr gut ausgearbeitet sind. Grob zusammengefasst sind die Kernelemente für die Handlung (detaillierter dann im nächsten Blog):

  • Was ist das Ziel der Figur? Also was will sie erreichen? (z. B. Prota will den neuen Job, der einen Karrieresprung verspricht)
  • Was ist das Bedürfnis der Figur? Das ist ein häufig unbewusster Wunsch, der in Kontrast mit dem Ziel steht (z. B. Prota will eigentlich mehr Zeit mit der Familie). Im Laufe der Geschichte spürt die Figur, dass ihr ihr Bedürfnis wichtiger ist als das anfangs gesetzte Ziel.

Ich sage mir selbst bei meinen Figuren immer: Was will die Figur erreichen? Und was will sie eigentlich viel lieber?

Kill your darlings

Ein kleines Schaubild mit allen Figuren, die im Roman vorkommen, gibt dem Figurenset eine gewisse Struktur. Du kannst darin Fragen visuell veranschaulichen wie: Wie stehen die Figuren zueinander (z. B. Familie, Freunde, Kollegen) ? Wer kann mit wem nicht? Wo kracht es bald?

Auch bei Nebenfiguren stelle ich (zumindest im Kopf) immer die Frage nach Ziel und Bedürfnis. Dabei merkst du nämlich auch ganz gut, ob du diese oder jene Figur überhaupt brauchst. Denn eine Figur, die keine elementare Rolle spielt, kann weg.

Mit System
Figurenkarte aus Papyrus Autor

Inzwischen bieten die meisten guten Autorenprogramme umfangreiche Funktionen rund um die Figuren an. Diese sind dann oft in Kategorien oder Register eingeteilt, die du befüllen kannst (wie z. B. Aussehen, Charakter, familiäres Umfeld) – ein bisschen wie beim Lebenslauf.

Schreibübungen

Ganz toll geeignet zum Kennenlernen deiner Figur sind Schreib- oder Kreativübungen. Sie machen Spaß und bringen dich Schritt für Schritt deinen Figuren näher. Hier ein paar Beispiele, die ich selbst schon erprobt habe:

  • Anamnesebogen: Wie beim Arzt füllst du einen Fragebogen aus, der vor allem auf die mentale und körperliche Gesundheit hinzielt (macht dann Sinn, wenn phsysische oder psychische Themen eine Rolle spielen)
  • Gespräch zwischen Es – Ich – Überich: Der Theorie von Sigmund Freud folgend können sich das Teufelchen und das Engelchen auf der Schulter deiner Figur einmal mit ebendieser unterhalten (hilft, um innere Konflikte auseinanderzudröseln)
  • Rituale: Was ist typisch für deine Figur? Welche Macken oder Rituale hat sie? Kleinigkeiten machen die Figur anfassbarer und liebenswürdiger.
  • Ein Spaziergang mit dem Prota: Wenn du draußen unterwegs bist (oder auch drinnen beim Wäschewaschen, Kochen etc.), kannst du in Gedanken ein Pläuschchen mit deiner Figur halten. Was würde sie jetzt tun? Was gefällt ihr, was nicht? Besonders schwierig ist hier, dich bewusst von dir selbst zu lösen und in deine Figur hineinzuversetzen.

Und bei mir so?

So genug geschwafelt. Ich hätte noch viel mehr sagen können (z. B. zur Namensfindung, zum Aussehen, zur Kindheit/Erziehung), aber irgendwann ist auch genug. Vieles davon thematisiere ich auch in meinem Instagram-Account – schau gern mal rein! Zum Abschluss noch ein, zwei Worte zu den Figuren in meinen eigenen Schreibprojekten:

Bei Schlaflose Nächte habe ich kaum Figurenplanung im Vorfeld gemacht. Hier gibt es auch keine klassischen Protagonisten und Antagonisten. Tina, Marcel und Sarah sind zugleich Protagonisten und Antagonisten zueinander. Aus den Leserrückmeldungen ging hervor, dass sich jeder mit einer anderen Figur identifiziert hat (statt klassisch mit einem Prota). Das war auch ein USP, den ich so haben wollte. Aber mit etwas intensiverer Vorbereitung hätte ich es noch überzeugender und schärfer hinbekommen.

In meinem zweiten Roman (ich brauche dringend einen Arbeitstitel!) habe ich mich intensiv in die Figurengestaltung begeben. Einen Monat lang begleitete mich Monia Tag und Nacht (und ich weiß, es werden noch viele kommen). Sie ist hier meine klare Protagonistin. Antagonisten-seitig ist es schwerer. Es gibt eine Gruppe aus Figuren, die alle mehr oder weniger meiner Monia entgegenwirken. Aber der stärkste Antagonist lauert in ihr selbst.

Doch ich liebe sie alle. Denn irgendwann fühlt man sich als Autorin ein bisschen wie die Figuren-Mama.

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