Slowpunzel – Teil 1

Slowpunzel – Teil 1

Einmal was anderes: Für eine Ausschreibung habe ich das futuristische Märchen „Slowpunzel“ geschrieben. Jeden Sonntag findest du hier einen Teil davon. Viel Spaß beim Wegbeamen 🙂

Es waren einmal ein Mann und eine Frau, die lebten auf dem Planeten Aarde. Ihre Brüder und Schwester hingegen waren vor Jahren auf benachbarte Planeten wie dem Maers oder Venos ausgewandert – manche, weil die Arbeitsplatzsituation dort wesentlich entspannter aussah als auf der übervölkerten Aarde; andere, weil sie Weltenbummler waren und hier bereits alles gesehen hatten. Der Mann und seine Frau lebten zurückgezogen und allein auf einem abgelegenen Landstrich. Das heißt: nicht ganz allein. Denn die Frau erwartete ein Kind. Und es gab immerhin ein Nachbarshaus im weiten Umkreis, in dem aber leider eine grimmige und wenig gesellige alte Frau hauste.

„Ich würde meiner Schwester so gern von unserem Nachwuchs erzählen“, klagte die Frau immer wieder.

„Ich weiß, Liebes“, antwortete dann ihr Mann. „Aber unser Telefonleitung reicht nicht bis zum Venos und das Internet ist nicht schnell genug, um darüber mit unseren Brüdern und Schwestern zu sprechen. Es tut mir leid!“

Ein helles, blaues Licht

Eines Tages sahen sie durchs Fenster ein helles, blaues Licht im Nachbarshaus. Sie pressten ihre Nasen an die Fensterscheiben und beobachteten, wie aus einer kleinen runden Scheibe das Hologrammbild eines Mannes ins Wohnzimmer der alten Frau projiziert wurde. Sie sprach mit dem Mann, als stünde er direkt vor ihr.

„Das ist das neue DirectComm-Gerät, was wir neulich in der Werbung gesehen haben. Weißt du noch, Schatz? Damit kann man sogar bis zum Saturnus telefonieren, heißt es“, sagte der Mann.

Die Augen seiner Frau leuchteten aufgeregt. „Wow, das ist ja der Wahnsinn!“

Der Mann legte eine Hand auf die Schulter seiner Frau. „Aber Schatz, bevor du dir Hoffnungen machst: Das können wir uns beim besten Willen nicht leisten.“

Seine Frau nickte traurig und strich sich über den dicken Kugelbauch. Sie könnte die Unterstützung ihrer Familie wirklich gut gebrauchen.

Eine Wehmutsträne rollte ihr über die Wange

In den kommenden Tagen sah sie immer wieder verstohlen zum Nachbarhaus hinüber. Das blaue Licht schien Tag ein, Tag aus zu leuchten. Sie wunderte sich, dass die alte Frau überhaupt so viele Menschen kannte, so grimmig wie sie immer schien. Aber sie beneidete sie auch um den Kanal zu ihren Lieben in der Ferne. Eine Wehmutsträne rollte ihr über die Wange.

„Du würdest wirklich gern mit deiner Familie reden, nicht wahr?“, fragte der Mann vorsichtig.

Seine Frau seufzte nur als Antwort.

Ein Hologramm der Schwester

In der darauffolgenden Nacht schlich sich der Mann zum Nachbarhaus. Er hatte beobachtet, dass die alte Dame das Wohnzimmerfenster halb offen gelassen hatte. Also nutzte er die Gelegenheit und griff durch das Fenster nach der Scheibe. Wenn seine Frau nur ganz schnell ihre Schwester anrufen würde, könnte er die Scheibe noch vor Sonnenaufgang wieder zurückbringen.

Er weckte seine Frau vorfreudig. „Liebling, schau mal, was ich hier habe!“

Seine Frau schlug ihre Hände vor der Brust zusammen. „Wo hast du das denn her? Hat die Nachbarin dir das Gerät einfach gegeben?“

„Ganz so war es nicht. Nun komm, ruf schnell deine Familie an, und dann bring ich die Scheibe wieder zurück.“

Als sie den runden Bauch sahen, waren sie außer sich vor Freude
Außer sich vor Freude

Als sich das Hologramm ihrer Schwester öffnete und diese sprachlos den großen Bauch bewunderte, waren der Mann und seine Frau ganz außer sich vor Freude.

Sie sprachen über alles, was in den letzten Jahren passiert war – so lang war es schon her, dass sie sich das letzte Mal gesprochen, geschweige denn gesehen hatten. Die Zeit verflog, und ohne dass sie es merkten, zogen die ersten Sonnenstrahlen über das Land.

Der Mann schreckte auf und rief: „Ach du Schreck, wie spät es schon ist. Ich muss die Scheibe wieder nach drüben bringen, bevor die Nachbarin etwas merkt!“

Sie verabschiedeten sich schnell, und der Mann schlich wieder zum Nachbarhaus, legte die Scheibe an ihren Platz und wähnte sich in Sicherheit. Das war gerade noch einmal gut gegangen.

Kurze Zeit später brachte die Frau eine junge Tochter zur Welt und nannte sie Slowpunzel. Wieder packte sie die Sehnsucht: Wie gern würde sie ihre Freude über das Töchterchen mit ihrer Familie teilen!

Internet bis zum Maers

So entschieden ihr Mann und sie, einen neuen Vertrag mit einem angesagten Internetanbieter abzuschließen. Er warb in den Medien mit einer Internetverbindung, die mindestens bis zum Maers reichen sollte. Damit könnten sie immerhin mit ihren Liebsten Nachrichten austauschen oder gar chatten.

Es klingelte an ihrer Haustür, und eine Dame stand im schicken Kostüm und metallenen Koffer auf der Veranda. Auf dem Koffer war eine geschwungene Welle hinter einem großen T abgedruckt. Die Stimme der hübschen Frau wirkte beinahe betörend, als würde sie einen Zauberspruch aufsagen:

„Sie werden eine doppelt so schnelle Verbindung haben. Ach, was sage ich? Ihre Verbindung wird dreimal so schnell sein wie jetzt. Auf dem ganzen Grundstück stabiler Empfang. Nie wieder langes Warten. Stellen Sie sich einmal vor: Sie können Ihre Lieblingsfilme streamen, nie wieder Werbungen oder verpasste Folgen!“

Der Mann und die Frau bekamen leuchtende Augen.

„Das Einzige, was Sie machen müssen, ist hier unterschreiben.“ Der Finger der jungen Frau klopfte wie ein Zeiger auf ein strahlend weißes Blatt, das sie in Windeseile aus dem Koffer gezogen hatte. Der Stift, den sie ihnen entgegenstreckte, glitzerte und sprühte Funken.

Der Mann nahm langsam den Stift, und seine Hand wurde blitzschnell vom Stift auf den Zettel gezogen. Bevor er sich versah, stand seine Unterschrift auf der vorgedruckten Linie. Sobald er den letzten Strich gesetzt hatte, verwandelte sich das strahlende Lächeln der jungen Frau in eine hässliche Fratze. Aus der hübschen Dame wurde die alte Hexe vom Nachbarhaus, die gehässig krähte: „Das habt ihr nun davon, dass ihr euch ungefragt an meinen Sachen vergreift! Fortan werdet ihr so schlechtes Internet haben, dass ihr euch nicht einmal mit der nächsten Stadt verbinden könnt, geschweige denn mit einem anderen Planeten. Muhahaaaaa!“ Sie verschwand so schnell, als hätte sie sich plötzlich in Luft aufgelöst.

Der Mann kratzte sich am Hinterkopf, und seine Frau starrte ungläubig auf den Fleck, an dem soeben noch die Hexe gestanden hatte.

Drei grimmige Männer

Die Wochen vergingen, und das Paar dachte schon, sie hätten diese Begegnung nur geträumt, als eines Tages zwei grimmige Männer an die Tür klopften, größer als der größte Baum, den sie je gesehen hatten, und breiter als der breiteste Fels. Sie machten sich an einer Buchse in der Wand zu schaffen und polterten mit lauten Schritten aus dem Haus. Danach war nichts mehr wie früher. 

Der Mann schimpfte in einer Tour, wenn er hinter dem Computer saß, und seine Frau ertappte er mehr als einmal dabei, wie sie leise wimmernd in der Küche stand.

„Wir haben einen dummen, dummen Fehler gemacht.“, schniefte sie dann und sah mit leerem Blick aus dem Fenster.

Den zweiten Teil gibt’s hier.


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